Neckarsage
In des Sommers Johannisnacht hört man oft an den kühlen Ufern des Neckars ein eigentümliches Singen und Rufen aus den Tiefen des Wassers.
Zuweilen ist es dem einsamen Wanderer auch, als vernehme er den ängstlichen Hilfeschrei eines dem Ertrinken nahen Menschen. Er hüte sich aber, dem Geschrei nachzugeben oder zu antworten, denn der Rufer ist der uralte Neckargeist, der in jener Nacht auf ein Menschenleben ausgeht. Wer seinem Rufe folgt, den lockt er mit zauberischem Singsang in den Fluss und zieht ihn zu sich in die kalte Tiefe. Umsonst erwarten ihn seine Lieben zu Haus - der Geist lässt ihn nicht lebendig entkommen. Denn wer in jener Nacht in den frischen Fluten ein Bad sucht, der ist unrettbar verloren.
Einzig ein besonderer Schutz Gottes vermag ihn vor dem tollen Wüten des aufgebrachten Geistes zu wahren. Mit wilder Gewalt ergreift er ihn an den Füßen und zieht ihn nieder zum steinigen Grunde des Flusses. Nur die Kleider finden die Seinen am anderen Morgen am Ufer liegen, denn erst am dritten Tage wirft er den Leichnam an Land.
Um den Hals des Toten sieht man dann einen blauen Ring. Das ist ein sicheres Zeichen, dass ihn der Neckargeist in der Johannisnacht erwürgt hat.